Psalmlieder

Johannes Calvin & der Genfer Psalter

Calvins Antwort auf Luthers Choräle

Foto: Johannes Calvin

Johannes Calvin

Die Überschrift ruft danach, die Bemühungen der beiden Reformatoren um Psalmlieder zu vergleichen. Hier treffen jedoch zwei Männer unterschiedlicher Generation aufeinander. Betrachten wir zunächst deren Geburtsjahre:

Luther kam 1483 zur Welt, Calvin 1509. Deshalb wird Calvin mit Fug und Recht „Reformator der zweiten Generation“ genannt. Als die Hammerschläge des Anschlags der 95 Thesen im Innern der Schlosskirche zu Wittenberg hallten, war Jean Calvin erst acht Jahre alt. Erst 1531 wurde er mit dem reformatorischen Gedankengut Luthers bekannt gemacht [1].

Die Calvin eigene Neigung zu Systematik und Strenge zeigte sich auch in musikalischen Fragen. Zweifellos war Luther der musikalisch Gebildetere und in Sachen Musik Offenere. Auch unterschied Calvin konsequenter zwischen gottesdienstlicher und anderweitiger Musik, allerdings ohne diese grundsätzlich zu verteufeln. Aber für ihn war sie dem Gottesdienst wesensfremd. Klar sah er die Gefahren körperlich-sinnlicher Affektivität sowie Effektivität von Musik und aus seiner Sicht konnten Instrumente dem geistlichen Erfassen der Wortbotschaft nur abträglich sein. Ebenso die Mehrstimmigkeit, vor allem die polyphone Individuation der Stimmen. Er bevorzugte den einstimmigen Gottesdienstgesang, wie der von ihm angeregte Genfer Psalter belegt. Die strukturelle Modellhaftigkeit dieser Lieder sei an der deutschen Adaption der Liedes Nr. 294 aus dem EG „Nun sagt Dank und lobt den Herren“ erläutert:

(Notenblatt abbilden!)

Vergleicht man die acht Phrasen des Liedes, so fällt das rhythmische Prinzip auf, jede Phrase mit einer halben Note beginnen und enden zu lassen und die Phrasen durch eine gründliche Atempause voneinander abzusetzen. Ansonsten herrschen Viertelnoten vor. Die Durchgängigkeit dieses Schemas ist typisch für die Strenge Calvins und das von ihm geleitete Projekt des Genfer Psalters. Dergleichen formelle Fesseln waren Luther fremd. Vielmehr folgte er der vom Meistergesang herrührenden Barform, was der freizügigen Kraft und textnahen Ausdrucksentfaltung einer Melodie wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ allerdings keinen Abbruch tut. – Ebenso verhält es sich mit den Inhalten; denn während Calvin größten Wert darauf legte, dass die biblischen Vorlagen in den Psalmgedichten möglichst korrekt und vollständig wiedergegeben werden, bezogen die Bereimungen Luthers auch Auslegungen sowie christologische Bezüge ein, während die Wiedergabe des betreffenden Psalms keineswegs vollständig erfolgen musste.

Luthers Einfluss

Obwohl dem jungen Calvin der eigentlich Jean Cauvin hieß, Luthers Lehren bereits bekannt waren, wurde er in der Zeit seines Aufenthalts in Straßburg (1538-1541) unter dem Einfluss eines lutherisch gesinnten Freundes zum Verehrer des deutschen Reformators. Hier dürfte er auch in Kontakt mit dessen Liedern gekommen sein, allen voran den Psalmliedern lutherischer Prägung. Jedoch war Calvin bereits vor dieser Zeit von dem geistlichen Nutzen des einstimmigen Singens von Psalmliedern in der Landessprache überzeugt; bereits 1537 hatte er dem Genfer Rat „die Einführung des Psalmgesangs im Gottesdienst“ empfohlen. [2] Dabei dachte er an in Vers und Reim gefasste Strophen.

Somit waren beide Reformatoren von der Wichtigkeit gemeindlichen Psalmlied-Singens überzeugt! Der strengere Grundzug Calvins wird auch hier insofern deutlich, als für ihn der Psalmgesang gesungenes Gebet war – unbedingt. Auch hatten die gereimten Strophen inhaltlich dem jeweiligen Psalm zu entsprechen, egal wie viele Strophen sich ergaben. Wie schon erwähnt, gingen Psalmlieder lutherischer Prägung viel freizügiger mit dem Text um, nahmen zusätzliche Gedanken auf und bezogen Christus ein. Außerdem war Luther nicht, wie Calvin, auf die strikte Einstimmigkeit fixiert. Dennoch entstanden schon bald mehrstimmige Ausgestaltungen der Melodien des Genfer Psalters für Chöre. Calvin konnte das nicht verhindern, wohl aber wendete er sich gegen deren Praktizierung im Gottesdienst. Wie Zwingli ging er davon aus, dass Musik rasch zur sinnhaften, vom geistlichen Inhalt ablenkende Gefahr werden kann.

Calvin war als Nachfolger Zwinglis von dessen Abneigung gegen Musik im kirchlichen Rahmen beeinflusst. Obwohl Zwingli (1484 – 1531) der Musik an sich zugetan und auch musikalisch war, hat er sie für den Gottesdienst rigoros abgelehnt. Calvin hat diese Haltung nicht in voller Strenge übernommen. Einstimmige und in „aller Andacht des Herzens“ gesungene Psalmlieder ließ er zu, die Orgel, die Mehrstimmigkeit und andere als Psalmlieder lehnte er ab. Insofern ist seine Antwort auf die relativ offene Musikpraxis des lutherischen Rahmen abschlägig. Sein Anliegen galt dem Psautier Genève, dem ursprünglich in Französisch abgefassten Genfer Psalter. Aus dieser Konsequenz heraus hat sich der Genfer Psalter in den calvinistisch reformierten Gemeinden lange als ausschließliches Singgut erhalten.

Doch mussten zunächst die Voraussetzungen für diese musikalische Monokultur geschaffen werden. Es war das alte Gebet- und Gesangbuch Israels, aus dem sich alles kirchliche Psalmsingen letztlich herleitet. Zunächst hatte sich Calvin in der dichterischen Umsetzung von Psalmen versucht, zog sich jedoch aus dieser Arbeit zurück – aus Gründen der Überlastung. Wie Luther regte er auch Andere zur Bereimung der Psalmen an. Nach mehreren Vorstadien konnte der Psalter 1562 komplett herausgegeben werden. Diversen Quellen zufolge stammen 49 der Psalter-Gedichte von Clément Marot (1496-1544); die übrigen Psalmen hat Theodore de Bèze (1519-1605) in Reim, Vers und Strophe gesetzt. Auch die Melodien wurden von verschiedenen Komponisten verfasst. Allerdings stützten diese sich teils auf anderweitige musikalische Quellen. Als Komponisten werden genannt: Guillaume Franc (1505-1570), Loys Bourgeois (1510-?) und Pierre Dagues (Geburts- und Todesjahr unbekannt). Der Letztere komplettierte die Melodien des Genfer Psalters, so dass das Gesamtwerk 1562 erscheinen konnte, also noch zu Lebzeiten von Jean Calvin. Zwei Jahre später verstarb er.

Als zusammenfassendes Zitat sei wiedergegeben, was wir über all das nicht vergessen sollten:

„Martin Luther (1483-1546) schreibt in einem Brief an Georg Spalatin (1484-1545) erstmals Ende 1523 von der Idee, Psalmen in Form von nachgedichteten Strophenliedern zu singen. Als Muster fügte er seine Liedfassung von Psalm 130 ‚Aus tiefer Not schrei ich zu dir’ bei. Diese Idee fiel besonders im deutschsprachigen Strassburg auf fruchtbaren Boden, so dass dort bis 1538 ein vollständiger deutscher Singpsalter geschaffen wurde.“ [3]

Übertragungen des Genfer Psalters ins Deutsche

Es war Ambrosius Lobwasser (1515-1585), dem das Verdienst zufällt, den Psautier de Genève unter Verwendung der vorhandenen Melodien ins Deutsche übertragen zu haben. Er war damit anlässlich einer Studienreise im französischen Bourges in Berührung gekommen und gab 1573 die deutsche Fassung heraus. Lobwassers Übertragungen aus dem Französischen wurden wegen ihrer Holprigkeit oft kritisiert. Dennoch blieben sie im deutschsprachigen Raum bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch:

Da die Stationen der Entwicklung zum Genfer Psalter hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden können, sei auf den einschlägigen Artikel von Verena Friedrich verwiesen. [3]

150 Psalmen = 150 Lieder. Auch diese Gleichung belegt das Streben Calvins nach systematischer Vollständigkeit und ist Ausdruck seines methodischen Ordnungssinns.

Vor diesem Hintergrund dürfte es sich lohnen, die Konterfeis der beiden reformatorischen Persönlichkeiten zu vergleichen. Das sei hier nur angeregt. Statt es auszuführen, wollen wir der Frage nachgehen, wie aus dem Psautier Genève der Genfer Psalter wurde.

„Die deutsche Schweiz kannte über 200 Jahre überhaupt keine anderen Kirchenlieder als diese Psalmdichtungen von Lobwasser. In schwelgender Begeisterung nannte man ihn Augapfel und Sirene des Calvinismus. 60 Auflagen waren von seiner Liedersammlung schon erschienen, bevor Matthias Jorissen diese Lieder durch eigene Dichtungen mit besserem und flüssigerem Reim ersetzte und 1798 unter dem Titel ‚Neue Bereimung der Psalmen’ herausbrachte. Matthias Jorissen hat bei seinen Psalmdichtungen viel gebetet. Der Heilige Geist, der in den Psalmen mächtig und wirksam ist, sollte auch in seinen Nachdichtungen wirken und die Gemeinden stärken und aufrichten.“ [4]

Auch der Pfarrer Matthias Jorissen formte - wie Lobwasser gut zwei Jahrhunderte davor - seine Verse zu den Melodien des Genfer Psalters.

Caspar Ulenberg

Es gab weitere Dichter, die sich der Aufgabe gestellt haben, den gesamten Psalter in deutscher Sprache zu bereimen. Hier liegt es nahe, den Konvertiten Caspar Ulenberg (1549-1617) zu nennen, weil er als Dichter wie als Komponist alle 150 Psalmen im Stile des Genfer Psalters nachgeschaffen hat. Dazu sei ein auf Lobwasser und Ulenberg bezogenes, vielsagendes Zitat ausgeführt:

„Im deutschen Sprachraum erfährt die erste, durch Ambrosius Lobwasser ... erstellte vollständige deutsche Bereimung des Psalters buchstäblich grenzenlose Verbreitung ... ja, die Ausbreitung des ‚Lobwasser-Psalters’ erfolgt im 16./17. Jahrhundert europaweit derart rasch, dass er im damals weit verbreiteten theologischen Konkurrenzdenken den durch lutherische Tradition geprägten Kirchen direkt als bedrohlich erscheint. Als Reaktion werden sowohl auf lutherischer wie auf römisch-katholischer Seite weitere Gesamtbereimungen geschaffen. Beispielsweise legt der zum katholischen Glauben übergetretene lutherische Theologe Caspar Ulenberg ... bereits 1582 eine literarisch bedeutsame Neubereimung des Psalters vor, jedoch mit eigenen, nach dem Vorbild des Genfer Psalters geschaffenen Melodien ... Wenigstens angedeutet werden soll schließlich der große Einfluss des Genfer Psalters auf den Gemeindegesang und auf die Kirchenmusik in den Niederlanden, in England, Schottland und Amerika ... bis hin zu den jüngeren Schwesterkirchen in anderen Kontinenten.“ [5]

Wie oben angedeutet, tritt gut zwei Jahrhunderte nach Lobwassser die zeitgemäßere Psalterbereimung Jorissens in Konkurrenz zum Lobwasser-Psalter. Auch in jüngerer Zeit gab es Bemühungen, die Psalmen erneut in Reime zu fassen. Darauf geht die Abhandlung „Neuschöpfungen von Psalmliedern“ ein.

Die 150 Lieder des Genfer Psalters in der Bereimung von Matthias Jorissen bilden gegenwärtig den festen Stamm im Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirche.

Quellen und weiterführende Literatur

[1] "Johannes Calvin" in wikipedia.
[2] Walter Blankenburg in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 2 (1952), Sp. 662.
[3] Verena Friedrich: Der Genfer Psalter. In: Musik und Gottesdienst 63. Jahrgang 2009. Dieser Artikel kann als PDF-Datei unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.rkv.ch/files/zeitschrift/093_friedrich-genferpsalter.pdf
[4] Beate und Winrich Scheffelbuch: Dennoch fröhlich singen – So entstanden bekannte Lieder, Band 2; Hänssler Verlag, Holzgerlingen 2.
[5] Stefan, Hans-Jürg: Psalmengesang der reformierten Kirchen – ‚Genfer Psalter’ oder ‚Hugenottenpsalter’. In: Werkbuch zum Evangelischen Gesangbuch, Teil 4.